Vielfältiger Neuanfang
3.

Demokratischer Wiederaufbau

Die Nachkriegszeit war gekennzeichnet durch eine beginnende politische, wirtschaftliche und kulturelle Wendung zum Westen und legte den Grundstein eines Großteils der heutigen politischen und gesellschaftlichen Institutionen und Strukturen. Während die ersten Nachkriegsjahre weiterhin von Rationalisierung geprägt waren, startet mit dem „Wirtschaftswunder“ ab Anfang der 1950er ­Jahre eine Phase bis dato unbekannten Wohlstands. Die ELBIM wurde vor neue Herausforderungen gestellt und erweiterte konsequent ihr Leistungsspektrum.

Neustart mit Lebensmittelmarken

Die Versorgung der Bevölkerung geriet vor allem während der Winterkrise 1946/47 an ihre Grenzen. Dies hatte vielfältige Ursachen: Zum einen konnte die deutsche Landwirtschaft im Jahr 1946 aufgrund des Verlusts von einem Viertel der landwirtschaftlichen Nutzfläche im Osten und einer schlechten Ernte nur noch 35 Prozent der Lebensmittel für die deutsche Bevölkerung produzieren. Hinzu kamen eine Kohlekrise und gravierende Probleme durch die Zerstörung eines Großteils der Infrastruktur und somit des Transportwesens. So waren zwar 300 Mio. Reichsmark in Umlauf, denen jedoch nur ein geringes Warenangebot gegenüberstand.
Neben personellen Neuerungen stellte vor allem der Warenmangel die ELBIM vor schier unlösbare Herausforderungen. Die Reichsmark hatte in den ersten Nachkriegsjahren nur noch fiktiven Wert und wurde schnell von Naturalwährungen abgelöst: je nach Verfügbarkeit Kaffee-, Zigaretten-, Brot- oder Fettwährung. Der Tauschhandel hatte Einzug gehalten und der Schwarzmarkt blühte. Für Kaffee, Butter oder Zigaretten wurden Fantasiepreise aufgerufen: 500 Gramm Kaffee kosteten 600 Reichsmark, ein Pfund Butter 450 Reichsmark und eine Zigarette zwischen fünf und zehn Reichsmark.
Frauen stehen vor einem Büro des Verwaltungsamts Schlange für Bezugsscheine, undatierte Aufnahme, ca. 1945 – 48
Zwar war der Hefebedarf durch Kontingentierung gewährleistet, die Versorgung mit Mehl hingegen war schlecht, weil den Mühlen das notwendige Getreide fehlte und die Bereitstellung von Gewürzen vollkommen darniederlag. Selbst die einfachsten Arbeitsmittel wie Backbretter oder Sauerteigkübel waren nicht verfügbar. Nur mit großer Mühe gelang es der ELBIM, ihre Mitglieder wenigstens mit dem Notwendigsten zu versorgen.

In diese Krisen- und Umbruchszeit fiel die Feier zum 25-jährigen Bestehen der ELBIM, die in einer Großküche an der Rosenheimer Straße, dem zu diesem Zeitpunkt größten verfügbaren Saal in München, in kulinarisch bescheidenem Rahmen stattfand. So mussten die geladenen Gäste jeweils 50 Gramm Fleischmarken, 10 Gramm Fett, 50 Gramm Nährmittel, 200 Gramm Kartoffelmarken sowie 100 Gramm Brotmarken selbst mitbringen. Berichtet wurde dennoch von einer „familiären Wiedersehensstimmung“, welche die eingeschränkten Verhältnisse vergessen ließ.

Trotz aller Einschränkungen konnte die ELBIM als eine von 35 bayerischen Bäckereigenossenschaften ein Jahr nach Kriegsende eine Dividende auszahlen und 1947 neben der Dividende erstmals wieder eine Warenrückvergütung ausschütten. Auch der Umsatz stieg 1947 mit 3 Mio. Reichsmark auf den durchschnittlichen Umsatz zu Vorkriegszeiten, was die ELBIM nach eigener Aussage erneut an die Spitze aller Bäckereigenossenschaften der amerikanischen Zone katapultierte.
Aufruf des Münchner Polizeipräsidenten gegen den Schwarzhandel, 1948

Roggenfeinbrot

„Konsumbrot“ – „Kompromissbrot“
Artikel in Der Bayerische Bäckermeister vom 13. Februar 1953 über das Ende der Subventionierung des Konsumbrots
Ebenso wie nach dem Ersten Weltkrieg sehnte sich die Bevölkerung nach den Entbehrungen der Kriegs- und Nachkriegsjahre nach Weizen- und Weizenmischbrot. Die hohe Nachfrage nach Weizenmehl Type 1950 konnte jedoch nicht befriedigt werden, auch weil aus den USA nur geringe Mengen an Weizenmehl importiert wurden. Bäcker waren daher zur Beimischung von 20 Prozent Mais- oder Sojamehl gezwungen. Um den Absatz von Roggenmehl zu steigern, die Existenz der heimischen Landwirtschaft und der Bevölkerung einen günstigen Brotpreis zu sichern, fand eine massive staatliche Kampagne für Roggenbrot statt.
Für das als „Kompromissbrot“ verspottete „Konsumbrot“ waren zeitlich unterschiedliche Mehltypen, vor allem dunkle Roggenmehle, und ein Festpreis von 50 Pfennig je Kilogramm vorgeschrieben. Selbst als gestiegene Mehlpreise und erhöhte Lohn- und Betriebskosten eine Preiserhöhung des Brots notwendig machten, wurde dieses staatlich subventioniert. Erst Anfang 1953 wurde das „Konsumbrot“ und dessen Subventionierung abgeschafft.

Neuanfänge des
bayerischen Genossenschaftswesens

Unmittelbar nach dem Einmarsch der amerikanischen Truppen in München am 30. April 1945 und der Kapitulation der deutschen Wehrmacht am 8. Mai 1945 stand für das landwirtschaftliche Genossenschaftswesen in Bayern bei einer weitgehenden Zerstörung der Infrastruktur zunächst die Aufrechterhaltung der Lebensmittelversorgung im Vordergrund. Doch rasch sollte auch der organisatorische Neuaufbau in die Wege geleitet werden.

Die amerikanische Militärregierung wollte die Demokratie in ihrer Besatzungszone von unten wieder aufbauen, von den Gemeinden bis zum Staat. Da das Genossenschaftswesen in Bayern auf eine lange demokratische Tradition zurückblicken konnte und sich Genossenschaften auch in den USA „schon seit Jahrzehnten als zuverlässige demokratische Institution bewährt“ hatten, entschied sich die amerikanische Militärregierung im Herbst 1945, als sie auch die Gründung von politischen Parteien anregte, den demokratischen Wiederaufbau des Genossenschaftswesens in Bayern zu fördern. Gleichzeitig wurde Bayern durch eine Proklamation des Oberbefehlshabers der amerikanischen Truppen in Europa, Dwight David Eisenhower, als Verwaltungsgebiet und somit als Staat neu gegründet. Bayern erhielt damit, vorbehaltlich der Rechte der Besatzungsmacht, wieder die vollständige gesetzgebende, vollziehende und richterliche Gewalt. In Artikel 153 der am 1. Dezember 1946 in Kraft getretenen Bayerischen Verfassung wurde die Bedeutung des Genossenschaftswesens für die weitere wirtschaftliche Entwicklung des Freistaats Bayern verankert:

„Die selbständigen Kleinbetriebe und Mittelstandsbetriebe in Landwirtschaft, Handwerk, Handel, Gewerbe und Industrie sind in der Gesetzgebung und Verwaltung zu fördern und gegen Überlastung und Aufsaugungen zu schützen. Sie sind in ihren Bestrebungen, ihre wirtschaftliche Freiheit und Unabhängigkeit sowie ihre Entwicklung durch genossenschaftliche Selbsthilfe zu sichern, vom Staat zu unterstützen."

Die genossenschaftlichen Gremien mussten sich jedoch zunächst der Entnazifizierung stellen. Aufgrund der Anordnung der Militärregierung vom 3. Oktober 1945 war es allen Genossenschaften auferlegt, im Herbst 1945 sowohl Vorstand als auch Aufsichtsrat neu zu besetzen. Bei der ELBIM übernahmen Rudolf Wenig und Paul Fritschi kommissarisch die Geschäftsführung. Der kommissarische Aufsichtsrat wurde von Hans Stief, Carl Kohl, Eusebius Lehner, Max Hieber, Jakob Ihle, Luitpold Wimmer, Georg Mang und Georg Ziegler besetzt. 

Männer des
Wiederaufbaus

Pankraz Breu,
Vorstand der ELBIM von
1940 bis 1945 und
1957 bis 1970
Fritz Reichart,
Geschäftsführendes
Vorstandsmitglied der ELBIM
von 1948 bis 1967
Paul Fritschi,
Vorstand der ELBIM
von 1945 bis 1965
Max Bauer,
Aufsichtsratsvorsitzender
der ELBIM von 1947 bis 1976
Erster Winterschlussverkauf des Münchner Kaufhauses Oberpollinger, ca. 1948 – 1950

Ein erster Schritt hin zur Konsolidierung: Die westdeutsche Währungsreform

Die Währungsreform des Jahres 1948 bedeutete in vielerlei Hinsicht einen Neuanfang und war einschneidend für die weitere, nicht nur wirtschaftliche Entwicklung Deutschlands. Nachdem Mitte Juni 1948 unter größter Geheimhaltung und unter militärischer Bewachung D-Mark-Noten von Frankfurt aus zu den elf Landeszentralbanken geliefert worden waren, wurde die Währungsreform am 20. Juni 1948 in den drei westlichen Besatzungszonen durchgeführt. Das Geld schrumpfte dabei auf 6,5 Prozent der bisherigen Reichsmark-Bestände. Die Staatsschulden waren erloschen.

In der Westzone startete jeder Bürger mit 40 D-Mark Kopfpauschale, die er am Tag der Währungsreform zusammen mit seinen Lebensmittelmarken gegen 40 Reichsmark erhielt. Zwei Monate später folgten weitere 20 D-Mark. Spargelder wurden im Verhältnis 1 : 10 umgetauscht. Schon am Tag nach der Währungsreform waren die bis dato leeren Schaufenster prall gefüllt mit Lebensmitteln und Konsumgütern, die noch zwei Tage zuvor mit Geld nicht zu beschaffen waren.

Für die ELBIM, die über keinerlei Grundbesitz, verhältnismäßig wenig Waren, aber hohe Bankguthaben verfügte, machte die Währungsreform einen nahezu vollkommenen Neuanfang notwendig: „So kam es, daß unsere Warenbestände am Währungsstichtag nur etwas um die Hälfte des Normalbestandes betrugen, nachdem wir es uns als Genossenschaft zum Prinzip gemacht hatten, die Versorgung unserer Mitglieder bis zum letzten Tag soweit als möglich durchzuführen. Der zusammengeschmolzene Warenbestand, verbunden mit unserem hohen Bankguthaben, trug wesentlich dazu bei, daß wir nicht in der Lage sind, die Geschäftsguthaben höher wie im Verhältnis 1 : 4 umzustellen.“ In der Folge stimmten die Mitglieder einer Aufstockung der Anteile zu und legten freie Gelder bei der ELBIM an. So konnten 120.000 D-Mark zusammenkommen, wobei die Arbeiter und Angestellten selbst hierzu 17.000 D-Mark beitrugen.

In der Zeit direkt nach der Währungsreform herrschten weiterhin äußerste Warenknappheit und ein enormer Geldüberhang. Es sollte noch zwei Jahre dauern, bis auch die Lebensmittelmarken der Vergangenheit angehörten. Am 15. Januar 1950 wurde auch die Bewirtschaftung von Mehl und Fett aufgehoben, erst 1952 die Rationierung von Zucker.
  • Menschen stehen am Tag der Währungsreform Schlange vor der Ausgabestelle der Bayerischen Hypotheken- und Wechsel-Bank in München, 1948
  • Löwenbräukeller in München wirbt nach der Einführung der D-Mark für sein gutes Bier, 1948
  • Volles Schaufenster einer Metzgerei nach der Währungsreform, 1948
  • Lebensmittelmarken wurden überflüssig und stapeln sich in den Wirtschaftsämtern, die zuvor für die Verteilung der Marken zuständig gewesen waren. München, 1950
Schuttarbeiten in der Maistraße 12, 1948

Wiederaufbau des alten Geschäftsgebäudes

Nach der Zerstörung des Innungsgebäudes in der Maistraße arbeitete die ELBIM vom Sommer 1945 bis Ende 1948 in provisorischen Geschäftsräumen, unter anderem in der Neuturmstraße 1. Diese beengten Verhältnisse sollten so schnell wie möglich verlassen werden. Nach einer Schutträumungsaktion zu Beginn des Jahres 1947 wurde mit dem Wiederaufbau des Hauses der Münchner Bäcker-Innung in der Maistraße begonnen. Während das Vordergebäude bis zum ersten Stock instandgesetzt wurde, wurde das Seitengebäude, das weniger schwer beschädigt worden war, vollständig wiederaufgebaut. Da die Arbeiten weitgehend von Brot- und Naturalienspenden an die Bauarbeiter sowie von Kompensationsgeschäften abhängig waren, gingen sie nur sehr zögerlich voran. Einen erheblichen Beitrag leisteten die Mitglieder, die ein Darlehen in Höhe von 100.000 D-Mark zur Verfügung stellten. Am 27. November 1948 konnte das Haus dann festlich wiedereröffnet werden.
Anbruch- und Mehl­­lager der ELBIM im Gebäude der Münchner Bäcker-Innung in der Maistraße 12
Lager der ELBIM in der Maistraße 12
Lager der ELBIM in der Maistraße 12
Büro der ELBIM im Gebäude der Münchner Bäcker-­Innung in der Maistraße 12
Maschinenwerkstatt der ELBIM in der Maistraße 12
Eröffnung des Verfassungskonvents auf Herrenchiemsee durch den bayerischen Staatsminister Anton Pfeiffer, 1948
Konrad Adenauer unterzeichnet das Grundgesetz, 1949
Aufnahme der BRD in die NATO, 1955

Die Anfänge der Bundesrepublik

Bereits wenige Monate nach der Währungsreform tagte im Auftrag der Ministerpräsidenten der westdeutschen Länder der Verfassungskonvent auf Herrenchiemsee, um einen Verfassungsentwurf zu erarbeiten. In der Folge trat von September 1948 bis Mai 1949 in Bonn der Parlamentarische Rat zusammen, um über das Grundgesetz zu beraten, das am 23. Mai 1949 verkündet und veröffentlicht wurde. Die Anfangsjahre der Bundesrepublik waren einerseits geprägt von Schlagworten wie „Wirtschaftswunder“, „Fresswelle“, „Soziale Marktwirtschaft“, andererseits läuteten sie ein demokratisches politisches System und eine Westintegration ein und markierten den Beginn einer modernen Gesellschaft.
Außenpolitisch konnte die Bundesrepublik durch die 1955 verabschiedeten Pariser Verträge ihre staatliche Souveränität erreichen. Bereits 1949 war sie der Organisation für europäische wirtschaftliche Zusammenarbeit (OEEC) beigetreten und 1955 in die NATO aufgenommen worden. Gleichzeitig beherrschte die Frage nach der Einheit Deutschlands die innen- und außenpolitischen Diskussionen und Entscheidungen dieser Jahre. Der Bau der Berliner Mauer verfestigte die Abschottung der beiden deutschen Staaten.

„Wohlstand für alle“ – das deutsche „Wirtschaftswunder“

Auch wenn die Währungsreform in der Erinnerung den Startschuss für das sogenannte „Wirtschaftswunder“ gab, waren die unmittelbaren Folgejahre vielmehr eine Phase der Konsolidierung. Mit der Deutschen Mark war eine vertrauensvolle Währung und der Grundstein für eine marktwirtschaftliche Ordnung geschaffen worden. Zunächst stiegen jedoch die Preise, und auch die Arbeitslosenquote kletterte von 5 Prozent im Jahr 1948 auf 12 Prozent im Jahr 1950.

Ermöglicht wurde diese Konsolidierungsphase durch massive amerikanische Wirtschaftshilfen im Rahmen des sogenannten „Marshallplans“. Am 4. Juni 1947 hielt der US-Außenminister George Catlett Marshall in Harvard eine wegweisende Rede, die eine neue Europa- und Deutschlandpolitik einläutete.
Das Angebot einer amerikanischen Aufbauhilfe für das wirtschaftlich gebeutelte Europa nahmen 16 westdeutsche Staaten, darunter auch Westdeutschland, an. Deutschland erhielt zwischen 1948 und 1952 durch den Marshallplan 1,4 Mrd. US-Dollar und somit 10 Prozent des Gesamtvolumens für Einkäufe in den USA. Neben Nahrungs- und Futtermitteln sowie Industrierohstoffen wurden auch Maschinen aus den Vereinigten Staaten importiert. Durch die Unterstützung der Amerikaner konnte Europa wiederaufgebaut werden, der Handel wurde gleichzeitig liberalisiert.
Die ersten 75 von insgesamt 18.000 Güterwaggons, die den vereinigten Westzonen von fünf europäischen Ländern zur Verfügung gestellt wurden, sind in Furth im Wald in der Oberpfalz der Deutschen Reichsbahn übergeben worden,
6. November 1948
Bundeswirtschaftsminister Ludwig Erhard vor einer Tafel, die die industrielle Produktion der Bundesrepublik Deutschland bis 1954 verdeutlicht.
Eng verbunden mit dem Wirtschaftswunder und der Einführung der Sozialen Marktwirtschaft ist der Name Ludwig Erhard. Der erste Wirtschaftsminister bzw. zunächst Direktor der Verwaltung für Wirtschaft in der Bizone und zweite Kanzler der Bundesrepublik steht bis heute für die Zeit des enormen wirtschaftlichen Aufschwungs nach dem Zweiten Weltkrieg. Dieser war gekennzeichnet durch eine außergewöhnliche Steigerung des Bruttosozialprodukts (BSP) und des Außenhandels. So stieg das BSP zwischen 1950 und 1960 von 113 auf 235 Mrd. D-Mark (+7,6 Prozent). Gleichzeitig vollzog sich ein tiefgreifender Strukturwandel. In den 1950er Jahren nahm der Anteil der Industrieproduktion am Bruttoinlandsprodukt von 47,3 auf 55,6 Prozent zu. Das „Wirtschaftswunder“ kann demnach auch als „Industriewunder“ bezeichnet werden. Entsprechend diesem Produktionszuwachs stieg auch die Anzahl der Erwerbstätigen in der Industrie. Während die Zahl der in der Landwirtschaft Tätigen von 1950 bis 1960 von 25 auf 14 Prozent sank, stieg der Anteil der im tertiären Sektor Beschäftigten von 33 auf 38 Prozent, die Anzahl der in Industrie und Handel Beschäftigten von 40 auf 50 Prozent. Diese Entwicklung bildete den Abschluss einer Epoche, die um die Wende zum 20. Jahrhundert begonnen hatte.
Industrie­arbeiter, um 1950
Export des 500.000. VW-­Käfers, 1956
Zeitgleich mit dem wirtschaftlichen Aufschwung entdeckten die Westdeutschen das europäische Ausland, vor allem die benachbarten deutschsprachigen Länder und Italien. Der Massentourismus nahm seinen Anfang, war aber zunächst vor allem auf das deutschsprachige Ausland und Italien fokussiert.

Gleichzeitig kam es nach den Jahren der Entbehrungen und Rationalisierungen zu einem völlig veränderten Essverhalten der deutschen Bevölkerung, einer regelrechten „Fresswelle“. Die USA werden mehr und mehr zur esskulturellen Leitnation. Neue Gerichte und Lebensmittel wie Hamburger, Cola und Kaugummi eroberten den europäischen Markt. Und so veränderte sich das Essverhalten allmählich. Essen außerhalb der Mahlzeiten, Fast Food und To-Go etablieren sich nach und nach ebenso wie der Konsum von Tiefkühl- und Fertigprodukten. Begleitet wird dies von einer zunehmenden Elektrifizierung des Haushalts.
Verkaufsraum einer Konditorei, ca. 1950
Warten auf den Bus nach Italien am Bahnhof Ruhpolding, 1958

Bäcker-Kunstmühle

Bäcker-Kunstmühle am Candidplatz, 1955
Walzenboden der Bäcker-Kunstmühle, 1955
Die Bäcker-Kunstmühle der Münchner Bäcker-­Innung bestand schon vor der Gründung der Stadt München durch Heinrich den Löwen im 12. Jahrhundert. Erwähnt wurde die älteste Mühle Giesings am Auer-Mühlbach und einer der ältesten Gewerbebetriebe Münchens erstmals 957 n. Chr.

Im Jahr 1894 erwarb die Bäcker-Innung München als 13. Eigentümerin die Mühle, die von nun an unter dem Namen „Bäcker-Kunstmühle der Bäcker-Innung München“ ihren Betrieb aufnahm. 1938 wurde die Mühle durch ein Getreidesilo erweitert. Während des Zweiten Weltkriegs, im Jahr 1941, wurde sie in eine Genossenschaft umgewandelt, da es der Bäcker-Innung München untersagt wurde, wirtschaftliche Einrichtungen zu führen. Nach Kriegsende wurde die Mühle in den Besitz der Innung zurückgeführt, um ab Juli 1953 an die ELBIM verpachtet zu werden. Diese nahm der Bäcker-­Innung damit „eine ernste Sorge“ ab und schulterte eine „ebenso bedeutungsvolle als schwierige Aufgabe“. Ihren Mitgliedern versprach sie, dass sie „unter schonungslosem persönlichem Einsatz“ versuchen werde, die Bäcker-Kunstmühle zu einem genauso erfolgreichen Gemeinschaftsunternehmen der großen Bäckerfamilie zu gestalten, wie es die ELBIM schon seit Jahren sei. Gleichzeitig appellierte die ELBIM an ihre Mitglieder, „zur Gesundhaltung des Bäckerhandwerks und des einzelnen Betriebs sich im Einkauf noch viel mehr als bisher der Genossenschaft zu bedienen“, vor allem in Bezug auf die Mehlbezüge.
Fuhrpark der Bäcker-Kunstmühle am Candidplatz, 1955
Bäckerblume, die erste eigene Handelsmarke der deutschen Bäckerei­genossenschaften
Durch die rationelle Betriebsführung unter der Ägide der ELBIM kam es zwar zu einer entscheidenden Verbesserung der Ertragslage bei der Bäcker-­Kunstmühle, doch der Verdrängungswettbewerb im Bereich der Mühlen bedrohte den Fortbestand der Bäcker-Kunstmühle. Rationalisierungen sowie die Erhöhung der Vermahlungskapazitäten schufen ebenso einen ruinösen Wettbewerb wie das Ende des Mühlenkartells im Juli 1971. Der Ausbau des Mittleren Rings 1970 führte zudem zu Beeinträchtigungen des Geschäftsbetriebs. Trotz staatlicher Hilfsangebote für die Mühlenwirtschaft konnte sich die Mühle wirtschaftlich nicht nachhaltig erholen. Zum Abbau von Überkapazitäten wurden Stilllegungsprämien angeboten. Mit Auslaufen des Pachtvertrags mit der ELBIM im Jahr 1972 beschloss die Innungsversammlung der Bäcker-Innung München die Stilllegung der Bäcker-Kunstmühle, die ihren Mühlebetrieb im August 1972 endgültig einstellte. Das Personal der Mühle übernahm neue Aufgaben bei der BÄKO. Nach der Stilllegung der Bäcker-Kunstmühle schloss die BÄKO eine Partnerschaft mit verschiedenen Mühlen und entwickelte sich dadurch zu einem wichtigen Preisregulator im Mehlgeschäft.
Beginn der Bauarbeiten in der Maistraße 14 am 13. August 1956
Baustelle Neubau Maistraße 14 am 12. Oktober 1956
Neubau der ELBIM in der Maistraße 14, 1958

Ein erstes eigenes Geschäfts­gebäude für die ELBIM: „Wer baut, der lebt!“

Einen zukunftsweisenden Schritt unternahm die ELBIM 1957 mit dem Bau ihres ersten eigenen Geschäftsgebäudes mit Büro-, Lager- und Ausstellungsräumen in der Mai­straße 14. Durch die räumliche Begrenzung des Bauplatzes war eine Ausdehnung nur in die Höhe möglich. Das umfangreiche, 2.000 Bedarfsartikel für das Bäckerhandwerk umfassende Lager musste also auf fünf Etagen verteilt werden.

Der gesamte Gebäudekomplex wurde in einen Büro- und einen Lagertrakt getrennt. Der Büroteil mit 400 Quadratmetern nahm auch das Ladengeschäft auf, das in zwei gegenüberliegenden Ausstellungsräumen das Warensortiment der ELBIM vorstellte, sowie Dusch-, Umkleide- und Aufenthaltsräume für die Belegschaft. Technisch auf dem neusten Stand ausgestattet mit für jedes Stockwerk getrennter Klimaanlage und hauseigener Rohrpost, bot das neue Gebäude „höchste Rationalisierung, zugunsten von Schnelligkeit des Warenumschlages und Bequemlichkeit für den Kunden“. Die Lagerfläche mit 3.300 Quadratmetern wurde ergänzt durch drei Kühlräume sowie einen Tiefkühlraum von 200 Quadratmetern.
ELBIM-Lager in der Maistraße 14
Ausstellungsräume der ELBIM in der Maistraße 14
„Fuhrpark“ der ELBIM vor der Maistraße 14
Besichtigung des neuen ELBIM-Geschäftsgebäudes in der Maistraße, 1958

Allumfassender Dienstleister und Berater für die Mitglieder

Nicht nur das Geschäftsgebäude war neu, auch die Aufgaben der ELBIM hatten sich in den vorangegangenen Jahren stark verändert, vor allem aber ausgeweitet. Neben ihren traditionellen Aufgaben, dem gemeinsamen Waren- und Rohstoffeinkauf, sah sich die ELBIM mehr und mehr auch als allumfassendes Dienstleistungs- und Beratungsunternehmen für ihre Mitglieder bei allen betrieblichen Fragen und Problemen: Ladenbau, Werbung, personelle, finanzielle, rechtliche und technische Unterstützung.

Die ELBIM ergänzte zunächst ihr Sortiment zum Jahresbeginn 1956 um Süßwaren, Maschinen, Backöfen und Kühlanlagen. Zahlreiche Handelsunternehmen hatten damit begonnen, Backwaren in ihr Sortiment aufzunehmen und damit den Bäckereibetrieben Konkurrenz zu machen. Um ihr standhalten zu können und die Wünsche der Kunden zu befriedigen, erweiterten die Bäckereien wiederum ihr traditionelles Sortiment und nahmen z. B. Handelswaren anderer Produzenten auf, was ihnen eine hinreichende Ertragslage ermöglichte. Hierbei waren sie selbstverständlich darauf angewiesen, diese Produkte selbst möglichst günstig einkaufen zu können.

Die Ausweitung des Leistungsportfolios wirkte sich bereits im ersten Jahr positiv auf die Umsatzentwicklung aus. Während der Umsatz 1957 noch bei 22,5 Mio. D-Mark lag, stieg er im Jahr 1958 auf knapp 25 Mio. D-Mark und bis 1963 auf nahezu 31 Mio. D-Mark. Auch die Mitgliederzahl nahm bis 1963 kontinuierlich auf 1.415, den höchsten Stand in der bisher 100-jährigen Geschichte der Genossenschaft, zu.
Maschinenwerbung
ELBIM-Warenverzeichnis
ELBIM-Maschinenverkauf und -beratung
Maschinenwerbung
ELBIM-Auftragsheft
Deutsch-amerikanische Bäcker im Münchner Löwenbräukeller, 1955
Auch die Betriebsabläufe innerhalb der Genossenschaft wurden modernisiert, beispielsweise durch die Umstellung auf das Lochkartensystem. Im Jahr 1965 kam es zu einer einschneidenden Veränderung durch die Einführung der Nettokalkulation, die das Ende der jährlichen Warenvergütung an die Mitglieder bedeutete. Zwar war es bisher ein willkommener Bonus für die Mitglieder, eine Art fiktive Spardose, doch die Umstellung erfuhr innerhalb der Mitgliedschaft breite Zustimmung, da die ELBIM ansonsten im Wettbewerb, vor allem im Preisvergleich mit den aufkommenden Großhandelsselbstbedienungsläden, nicht hätte bestehen können.

Ebenso neu waren die attraktiven Frühjahrs- und Herbstmessen, bei denen erstmals Sonderangebote unter dem Einkaufspreis offeriert wurden und den Mitgliedern die Möglichkeit bot, sich über Saisonartikel wie Osterstollen oder Weihnachtsmänner zu informieren. Diese Veranstaltungen trugen in den Folgejahren ebenso zum anhaltenden Umsatzwachstum bei wie die in Zusammenarbeit mit der Münchner Bäcker-Innung veranstalteten sogenannten „Damenkränzchen für die Meisterfrauen“. Mit diesen Zusammenkünften, bei denen eine „frohe und beschwingte Stimmung“ geschaffen werden sollte, wollte die ELBIM durch „persönliche Fühlungnahme“ den Kontakt mit den Mitgliedern weiter vertiefen und direkt auf die Ehefrauen der Bäckermeister einwirken. Da die Frauen zumeist nicht an den Generalversammlungen teilnahmen, boten die Damenkränzchen der ELBIM die Chance, wenigstens einmal im Jahr mit ihnen in Kontakt zu treten. Für die ELBIM lohnten sich diese Veranstaltungen, da die Bindung nachhaltig verstärkt und der Umsatz im Nachgang merklich erhöht wurde, auch wenn „geschäftliche Dinge nur kurz und wenn möglich humorvoll“ gestreift wurden.
Einladung zum Damenkränzchen mit Ida Schumacher und Oskar Paulig
Damenkränzchen mit Unterhaltungskünstlern Ida Schumacher und Oskar Paulig
Die Bäckereigenossenschaften waren bemüht, ihre Mitglieder mit praktischen Tipps bei der Steigerung ihres Umsatzes zu unterstützen. In Backkursen erhielten die ELBIM-Mitglieder nicht nur Hinweise für eine Verbesserung der Brotqualität, sondern auch zur Rationalisierung des Betriebsablaufs. Durch die Vorstellung von Muster­läden sowie Vorträge über eine erfolgreiche Laden- und Sortimentsgestaltung gab die ELBIM den Mitgliedsbetrieben ein Rüstzeug an die Hand, um die eigene Selbstständigkeit auch für die Zukunft zu bewahren.
Verkaufsfördertipps des Zentralverbands der Bäckergenossenschaften und der BÄGENO-Zentrale, 1958: „Die Verpackung in Brotwerbebeuteln fördert den Einkauf.“
Werbung für Ladeneinrichtung
Das Hauptgeschäft der 1930 gegründeten Großbäckerei und Konditorei Hans Müller in der Pilgersheimer Straße 25 in München
Schaufenster der Bäckerei Anton Kraus in der Nymphenburger Straße 187 in München
Werbung für Ladeneinrichtung
Das 1955/56 neu errichtete Backhaus Lupperger in der Marktstraße 18 in München-Schwabing
Backstube der Bäckerei und Konditorei des Obermeisters und ELBIM-Aufsichtsratsvorsitzenden Max Bauer in der Garchinger Straße 30 in München

Internationale
Bäckerei-Fachausstellung

Vom 15. bis 26. Mai 1958 fand auf dem nach dem Zweiten Weltkrieg wesentlich erweiterten Ausstellungsgelände der Theresienhöhe in München die Internationale Bäckerei-Fachausstellung (IBA) statt. Die Planung erfolgte durch die Münchner Bäcker-Innung. Eröffnet wurde die Ausstellung von dem „Vater des deutschen Wirtschaftswunders“ und damaligen Vizekanzler Ludwig Erhard, die Schirmherrschaft übernahm der damalige Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten, Heinrich Lübke. Auf 21.000 Quadratmetern wurde die breite Palette des technischen Angebots des Bäckerhandwerks vorgestellt. Die Münchner Bäcker-Innung präsentierte zudem eine moderne Schaubäckerei.
Stand der BÄGENO auf der Internationalen Bäckerei-Fachausstellung 1958

Die Gremien der ELBIM

Die Führungsriege der ELBIM im Jahr 1958
(v. l.): Pankraz Breu, Max Bauer, Paul Fritschi, Fritz Reichart
Generalversammlung der ELBIM 1963

UmsatzEntwicklung der ELBIM/Bäko von 1950 bis 1970

Mitgliederentwicklung der ELBIM/Bäko von 1950 bis 1970

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