Demokratischer Wiederaufbau
Neustart mit Lebensmittelmarken
In diese Krisen- und Umbruchszeit fiel die Feier zum 25-jährigen Bestehen der ELBIM, die in einer Großküche an der Rosenheimer Straße, dem zu diesem Zeitpunkt größten verfügbaren Saal in München, in kulinarisch bescheidenem Rahmen stattfand. So mussten die geladenen Gäste jeweils 50 Gramm Fleischmarken, 10 Gramm Fett, 50 Gramm Nährmittel, 200 Gramm Kartoffelmarken sowie 100 Gramm Brotmarken selbst mitbringen. Berichtet wurde dennoch von einer „familiären Wiedersehensstimmung“, welche die eingeschränkten Verhältnisse vergessen ließ.
Trotz aller Einschränkungen konnte die ELBIM als eine von 35 bayerischen Bäckereigenossenschaften ein Jahr nach Kriegsende eine Dividende auszahlen und 1947 neben der Dividende erstmals wieder eine Warenrückvergütung ausschütten. Auch der Umsatz stieg 1947 mit 3 Mio. Reichsmark auf den durchschnittlichen Umsatz zu Vorkriegszeiten, was die ELBIM nach eigener Aussage erneut an die Spitze aller Bäckereigenossenschaften der amerikanischen Zone katapultierte.
Roggenfeinbrot
Neuanfänge des
bayerischen Genossenschaftswesens
Die amerikanische Militärregierung wollte die Demokratie in ihrer Besatzungszone von unten wieder aufbauen, von den Gemeinden bis zum Staat. Da das Genossenschaftswesen in Bayern auf eine lange demokratische Tradition zurückblicken konnte und sich Genossenschaften auch in den USA „schon seit Jahrzehnten als zuverlässige demokratische Institution bewährt“ hatten, entschied sich die amerikanische Militärregierung im Herbst 1945, als sie auch die Gründung von politischen Parteien anregte, den demokratischen Wiederaufbau des Genossenschaftswesens in Bayern zu fördern. Gleichzeitig wurde Bayern durch eine Proklamation des Oberbefehlshabers der amerikanischen Truppen in Europa, Dwight David Eisenhower, als Verwaltungsgebiet und somit als Staat neu gegründet. Bayern erhielt damit, vorbehaltlich der Rechte der Besatzungsmacht, wieder die vollständige gesetzgebende, vollziehende und richterliche Gewalt. In Artikel 153 der am 1. Dezember 1946 in Kraft getretenen Bayerischen Verfassung wurde die Bedeutung des Genossenschaftswesens für die weitere wirtschaftliche Entwicklung des Freistaats Bayern verankert:
„Die selbständigen Kleinbetriebe und Mittelstandsbetriebe in Landwirtschaft, Handwerk, Handel, Gewerbe und Industrie sind in der Gesetzgebung und Verwaltung zu fördern und gegen Überlastung und Aufsaugungen zu schützen. Sie sind in ihren Bestrebungen, ihre wirtschaftliche Freiheit und Unabhängigkeit sowie ihre Entwicklung durch genossenschaftliche Selbsthilfe zu sichern, vom Staat zu unterstützen."
Die genossenschaftlichen Gremien mussten sich jedoch zunächst der Entnazifizierung stellen. Aufgrund der Anordnung der Militärregierung vom 3. Oktober 1945 war es allen Genossenschaften auferlegt, im Herbst 1945 sowohl Vorstand als auch Aufsichtsrat neu zu besetzen. Bei der ELBIM übernahmen Rudolf Wenig und Paul Fritschi kommissarisch die Geschäftsführung. Der kommissarische Aufsichtsrat wurde von Hans Stief, Carl Kohl, Eusebius Lehner, Max Hieber, Jakob Ihle, Luitpold Wimmer, Georg Mang und Georg Ziegler besetzt.
Männer des
Wiederaufbaus
Vorstand der ELBIM von
1940 bis 1945 und
1957 bis 1970
Geschäftsführendes
Vorstandsmitglied der ELBIM
von 1948 bis 1967
Vorstand der ELBIM
von 1945 bis 1965
Aufsichtsratsvorsitzender
der ELBIM von 1947 bis 1976
Ein erster Schritt hin zur Konsolidierung: Die westdeutsche Währungsreform
In der Westzone startete jeder Bürger mit 40 D-Mark Kopfpauschale, die er am Tag der Währungsreform zusammen mit seinen Lebensmittelmarken gegen 40 Reichsmark erhielt. Zwei Monate später folgten weitere 20 D-Mark. Spargelder wurden im Verhältnis 1 : 10 umgetauscht. Schon am Tag nach der Währungsreform waren die bis dato leeren Schaufenster prall gefüllt mit Lebensmitteln und Konsumgütern, die noch zwei Tage zuvor mit Geld nicht zu beschaffen waren.
Für die ELBIM, die über keinerlei Grundbesitz, verhältnismäßig wenig Waren, aber hohe Bankguthaben verfügte, machte die Währungsreform einen nahezu vollkommenen Neuanfang notwendig: „So kam es, daß unsere Warenbestände am Währungsstichtag nur etwas um die Hälfte des Normalbestandes betrugen, nachdem wir es uns als Genossenschaft zum Prinzip gemacht hatten, die Versorgung unserer Mitglieder bis zum letzten Tag soweit als möglich durchzuführen. Der zusammengeschmolzene Warenbestand, verbunden mit unserem hohen Bankguthaben, trug wesentlich dazu bei, daß wir nicht in der Lage sind, die Geschäftsguthaben höher wie im Verhältnis 1 : 4 umzustellen.“ In der Folge stimmten die Mitglieder einer Aufstockung der Anteile zu und legten freie Gelder bei der ELBIM an. So konnten 120.000 D-Mark zusammenkommen, wobei die Arbeiter und Angestellten selbst hierzu 17.000 D-Mark beitrugen.
In der Zeit direkt nach der Währungsreform herrschten weiterhin äußerste Warenknappheit und ein enormer Geldüberhang. Es sollte noch zwei Jahre dauern, bis auch die Lebensmittelmarken der Vergangenheit angehörten. Am 15. Januar 1950 wurde auch die Bewirtschaftung von Mehl und Fett aufgehoben, erst 1952 die Rationierung von Zucker.
Wiederaufbau des alten Geschäftsgebäudes
Die Anfänge der Bundesrepublik
„Wohlstand für alle“ – das deutsche „Wirtschaftswunder“
Ermöglicht wurde diese Konsolidierungsphase durch massive amerikanische Wirtschaftshilfen im Rahmen des sogenannten „Marshallplans“. Am 4. Juni 1947 hielt der US-Außenminister George Catlett Marshall in Harvard eine wegweisende Rede, die eine neue Europa- und Deutschlandpolitik einläutete.
6. November 1948
Gleichzeitig kam es nach den Jahren der Entbehrungen und Rationalisierungen zu einem völlig veränderten Essverhalten der deutschen Bevölkerung, einer regelrechten „Fresswelle“. Die USA werden mehr und mehr zur esskulturellen Leitnation. Neue Gerichte und Lebensmittel wie Hamburger, Cola und Kaugummi eroberten den europäischen Markt. Und so veränderte sich das Essverhalten allmählich. Essen außerhalb der Mahlzeiten, Fast Food und To-Go etablieren sich nach und nach ebenso wie der Konsum von Tiefkühl- und Fertigprodukten. Begleitet wird dies von einer zunehmenden Elektrifizierung des Haushalts.
Bäcker-Kunstmühle
Im Jahr 1894 erwarb die Bäcker-Innung München als 13. Eigentümerin die Mühle, die von nun an unter dem Namen „Bäcker-Kunstmühle der Bäcker-Innung München“ ihren Betrieb aufnahm. 1938 wurde die Mühle durch ein Getreidesilo erweitert. Während des Zweiten Weltkriegs, im Jahr 1941, wurde sie in eine Genossenschaft umgewandelt, da es der Bäcker-Innung München untersagt wurde, wirtschaftliche Einrichtungen zu führen. Nach Kriegsende wurde die Mühle in den Besitz der Innung zurückgeführt, um ab Juli 1953 an die ELBIM verpachtet zu werden. Diese nahm der Bäcker-Innung damit „eine ernste Sorge“ ab und schulterte eine „ebenso bedeutungsvolle als schwierige Aufgabe“. Ihren Mitgliedern versprach sie, dass sie „unter schonungslosem persönlichem Einsatz“ versuchen werde, die Bäcker-Kunstmühle zu einem genauso erfolgreichen Gemeinschaftsunternehmen der großen Bäckerfamilie zu gestalten, wie es die ELBIM schon seit Jahren sei. Gleichzeitig appellierte die ELBIM an ihre Mitglieder, „zur Gesundhaltung des Bäckerhandwerks und des einzelnen Betriebs sich im Einkauf noch viel mehr als bisher der Genossenschaft zu bedienen“, vor allem in Bezug auf die Mehlbezüge.
Ein erstes eigenes Geschäftsgebäude für die ELBIM: „Wer baut, der lebt!“
Der gesamte Gebäudekomplex wurde in einen Büro- und einen Lagertrakt getrennt. Der Büroteil mit 400 Quadratmetern nahm auch das Ladengeschäft auf, das in zwei gegenüberliegenden Ausstellungsräumen das Warensortiment der ELBIM vorstellte, sowie Dusch-, Umkleide- und Aufenthaltsräume für die Belegschaft. Technisch auf dem neusten Stand ausgestattet mit für jedes Stockwerk getrennter Klimaanlage und hauseigener Rohrpost, bot das neue Gebäude „höchste Rationalisierung, zugunsten von Schnelligkeit des Warenumschlages und Bequemlichkeit für den Kunden“. Die Lagerfläche mit 3.300 Quadratmetern wurde ergänzt durch drei Kühlräume sowie einen Tiefkühlraum von 200 Quadratmetern.
Allumfassender Dienstleister und Berater für die Mitglieder
Die ELBIM ergänzte zunächst ihr Sortiment zum Jahresbeginn 1956 um Süßwaren, Maschinen, Backöfen und Kühlanlagen. Zahlreiche Handelsunternehmen hatten damit begonnen, Backwaren in ihr Sortiment aufzunehmen und damit den Bäckereibetrieben Konkurrenz zu machen. Um ihr standhalten zu können und die Wünsche der Kunden zu befriedigen, erweiterten die Bäckereien wiederum ihr traditionelles Sortiment und nahmen z. B. Handelswaren anderer Produzenten auf, was ihnen eine hinreichende Ertragslage ermöglichte. Hierbei waren sie selbstverständlich darauf angewiesen, diese Produkte selbst möglichst günstig einkaufen zu können.
Die Ausweitung des Leistungsportfolios wirkte sich bereits im ersten Jahr positiv auf die Umsatzentwicklung aus. Während der Umsatz 1957 noch bei 22,5 Mio. D-Mark lag, stieg er im Jahr 1958 auf knapp 25 Mio. D-Mark und bis 1963 auf nahezu 31 Mio. D-Mark. Auch die Mitgliederzahl nahm bis 1963 kontinuierlich auf 1.415, den höchsten Stand in der bisher 100-jährigen Geschichte der Genossenschaft, zu.
Ebenso neu waren die attraktiven Frühjahrs- und Herbstmessen, bei denen erstmals Sonderangebote unter dem Einkaufspreis offeriert wurden und den Mitgliedern die Möglichkeit bot, sich über Saisonartikel wie Osterstollen oder Weihnachtsmänner zu informieren. Diese Veranstaltungen trugen in den Folgejahren ebenso zum anhaltenden Umsatzwachstum bei wie die in Zusammenarbeit mit der Münchner Bäcker-Innung veranstalteten sogenannten „Damenkränzchen für die Meisterfrauen“. Mit diesen Zusammenkünften, bei denen eine „frohe und beschwingte Stimmung“ geschaffen werden sollte, wollte die ELBIM durch „persönliche Fühlungnahme“ den Kontakt mit den Mitgliedern weiter vertiefen und direkt auf die Ehefrauen der Bäckermeister einwirken. Da die Frauen zumeist nicht an den Generalversammlungen teilnahmen, boten die Damenkränzchen der ELBIM die Chance, wenigstens einmal im Jahr mit ihnen in Kontakt zu treten. Für die ELBIM lohnten sich diese Veranstaltungen, da die Bindung nachhaltig verstärkt und der Umsatz im Nachgang merklich erhöht wurde, auch wenn „geschäftliche Dinge nur kurz und wenn möglich humorvoll“ gestreift wurden.
Internationale
Bäckerei-Fachausstellung
Die Gremien der ELBIM
(v. l.): Pankraz Breu, Max Bauer, Paul Fritschi, Fritz Reichart